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Die Journalistin und angehende Historikerin Anna Valeska Strugalla anläßlich der Eröffnung der Ausstellung „Human Nature“ in der Galerie Rita Stern, Miltenberg, 24. April 2016:
München, Mitte-Ende Februar, am frühen Abend. Ich sitze am Telefon und schreibe mit so gut ich kann. Am Apparat ist Joachim Weissenberger, wir haben ein Telefonat fürs erste Kennenlernen vereinbart. Er ist mit Feuereifer bei der Sache, ein Überzeugungs-täter – voll in seinem Element. Er beschreibt mir seine Kunst, seine Erzählungen wirken authentisch, seine Argumentationen sind geistreich-spannend. Mir geht das Notizpapier aus. Wie soll ich das nur alles in eine Rede packen?
Doch plötzlich gibt es einen Richtungswechsel am anderen Ende der Leitung. Es tue ihm Leid, er habe die Zeit aus den Augen verloren, so Weissenberger. Er habe gerade auf die Uhr gesehen, das Abendprogramm mit der Familie beginne genau in diesem Moment, deswegen müsste man mögliche weitere Fragen auf einen anderen Tag verschieben, Mittwoch nächster Woche vielleicht?
Ok, ganz schön durchgetakteter Typ, könnte man sich nun denken. Aber muss man das jetzt hier so breittreten? Ich erwähne diesen Moment jedoch ganz gezielt: Ich will Ihnen heute den Künstler Joachim Weissenberger vorstellen. Doch bevor ich das tun kann, muss ich den Menschen Joachim Weissenberger im Bezug zu seiner Kunst fassen können. Mir begegnete am Te¬lefon ein passionierter Kunstschaffender der es mit Herzblut und Können vermag, mir seine Kunst in eigenen Worten näher zu bringen. Mir begegnete aber auch ein Privatmann, der von einer Minute auf die andere den Schalter umlegt, dem die „qualitytime“ mit der Familie wichtig ist und der dafür selbstver¬ständlich, höflich aber bestimmt, das Interview be¬endet. Und da habe ich ihn erwischt: Den Menschen Joachim Weissenberger.
Diese Alltagsbeschreibung ist deshalb so wichtig, weil der Alltag der Rahmen ist, in dem Joachim Weissenbergers Kunst entsteht. Seine Bilder wachsen zwischen Arbeitsleben und Familie. In fest vereinbarten, wachsam behüteten Slots, findet er Zeit für seine Bilder. Samstags und sonntags, jeweils fünf Stunden, das ist der Deal mit seiner Familie. Und damit bringt er Beruf, Privates und seine große Leidenschaft unter einen Hut.
Diesen Deal gibt es nun seit gut fünf Jahren. Da hat er wieder richtig angefangen mit der Malerei. Dieser Deal schafft nicht nur eine angenehme Ausgeglichenheit, die seinen beruflichen Stress auffängt. Er meistert auch den hektischen Übergang vom Telefoninterview mit der Journalistin hin zum Abend mit der Familie – völlig elegant und locker. Dieser Deal wirkt auf den Familienvater – er wirkt aber auch auf den Künstler. Dieses Zugeständnis ist zwangsläufig rahmengebend für Weissenbergers Schaffen – gleichzeitig ist dieser Kompromiss stilprägend für seine Kunst: Als „nahezu Effizienzgetrieben“ bezeichnet er seine Art, Kunst zu machen. „Voll abtauchen“, das gehe halt einfach nicht. Die Zeit, in der er sich der Malerei widmet, ist kostbar und mit dieser Kostbarkeit geht er bedacht um. Er zelebriert und wertschätzt sie. Er versucht aber auch, innerhalb dieser Zeiträume das Optimum an Kreativität aus sich herauszuholen.
„Sessions“ nennt der Künstler selbst diese Freizeiten der vollkommenen Hingabe zur Kunst. Er verbringt sie in seinem kleinen Atelier im Klingenberger Stadtteil Trennfurt. Traditionell eröffnet er sie mit einer Tasse Kaffee zu spätromantischen Klängen à la Sibelius oder Prokofiev. Und dann beginnt das Spiel mit den Assoziationen. Ausdrucksstärke in einem Korsett der zeitlichen Begrenzung, das bedeutet:
– jetzt oder nie!
– alles muss raus!
Vorzeichnungen gibt es nicht, die Ölfarben kommen direkt auf die Leinwand. Zwei Pinsel lassen zwei Hände ihre Kreise ziehen. Dabei folgt Weissenberger den ersten Eindrücken, lässt „Formen entstehen“. Er verwendet dafür gerne die Metapher von dem Keller, den jeder in seinem Haus beherbergt. Ein Leben lang räume jeder unkontrolliert alles Mögliche in diesen Keller. Man verliert schnell den Überblick und das Gespür dafür, was darin wohl so lagert. Die „Sessions“ sind für Weissenberger das schrittweise Entrümpeln dieses Kellers. In jeder Einheit greift er mit kreiselnden Pinseln tief in das Gewölbe und fördert Themen zutage. – Themen, die er manchmal noch detaillierter herausarbeitet. – „Manchmal will eine Form aber auch nicht weiter ausgeführt werden, das merke ich dann“, erklärt er.
Dieser außergewöhnliche Entstehungskontext erklärt vielleicht auch die Intensität, mit der er seine Sujets kommuniziert. Das bedingungslose Lodern der Feuerstellen auf dem Gemälde „Firegarden“, der Moment der Wiederauferstehung in „Resurrection“ mit den Gegensätzen zwischen Himmel und Erde, der ewige Kampf zwischen Schöpfung und Vergänglichkeit in „Wheel of Life“. Die Frage „Was hat sich der Künstler dabei wohl gedacht?“ ist bei dieser hochsensiblen, assoziationsgeleiteten Art der Kreation absolut hinfällig. Weissenbergers Ölgemälde erzählen keine feingliedrigen Geschichten nach, es gibt keine Haupt- und Nebenkriegsschauplätze. Diese Werke bilden einen intimen Gefühlszustand ab. Seinem Narrativ des „Lebenskellers“ folgend betreibt Weissenberger im Grunde nichts anderes als einen ziemlich heftigen psychologischen Frühjahrsputz an sich selbst. Gut möglich, dass der Künstler die zu Bild gebrachten Emotionen nur mit Hilfe seiner kreiselnden Pinsel auszudrücken vermag.
Ein interessanter Gegensatz zu diesen schonungslos emotionalen Ölgemälden bildet da der zweite Typus, der Weissenbergers Werk (bisher) komplettiert: Leichte, klare Landschafts-Kohlezeichnungen „brauchen kein ‚was?’ sondern nur ein ‚wie?’“, so erklärt er es mir. Das entspanne den Geist und schule das Auge, es sei für ihn wie ein Ausgleich zu den fordernden Sessions.
„Human nature“ – unter diesem Begriff subsummiert der Künstler die Auswahl seiner Werke, die er hier heute präsentiert. Ausstellungstitel verleiten mich oft dazu, mir schon vor dem Betreten eines Kunsthauses ein Narrativ zurechtzulegen, unter dem ich dann das Gezeigte betrachte und auf mich wirken lasse. Das kann schief gehen. Das kann aber auch ein herrlicher Wegweiser sein, der einen von Bild zu Bild führt. Mir hat es bei dem Titel dieser Ausstellung besonders die „nature“ angetan. In Weissenbergers Kunst fungiert sie als Gegenstück zum „human being“. Doch sie ist in einem Großteil seiner Bilder auch rahmengebendes Element. Natur, in Weissenbergers Fall häufig repräsentiert durch die Darstellung von Wald, ist die Bühne, auf der sich seine Assoziativketten entfalten.
Ich verstehe den „Wald“ dabei als Grundierung seiner Gemälde. Das schafft eine ganz besondere Stimmung, in der ich mich durch „human nature“ bewegen kann. Der Wald als dunkles Mystikum, als Ort des Geheimnisvollen und des Zauberhaften. Der Wald als Metapher im Märchen, oft als zweites Ich zu verstehen, als Raum der Reifung und des Wandels. Der „deutsche Wald“ als Identifikationsmodell einer deutschtümelnden Gesellschaft des 19. Jahrhun¬derts. Der Wald schlussendlich auch als Sehnsuchtsort der ungebändigten Natur mit „Wellnesscharakter“: hier ist Durchatmen möglich, hier bekommt man seinen Kopf frei. Ideal für eine „Session“ à la „human nature“.
Ich möchte Sie nun einladen, mit mir durch Joachim Weissenbergers Wälder zu streifen: Schenken wir uns, ganz nach seiner Manier, eine Tasse Kaffee ein ( zur Not tut es auch ein gutes Glas Wein ) und legen uns die passende Musik dazu auf: Mit Dvoraks Celli-Monodien aus der „Waldesruhe“ lassen wir uns auf die feinen, mit leichten Kohlestrichen gezeichneten Verästelungen bei „St. Jakobus“ ein und genießen die Ruhe am „Fronwassergraben“. Die zauberhafte Waldnymphe von Jean Sibelius führt uns zur Lichtung des „Königwaldes“. Richard Wagners Siegfried nimmt uns mit „in Wald und Nacht“ des Nibelungenliedes und schafft damit eine existenziell-dunkle Atmosphäre, zu der sich jeder einzelne von uns tiefer und tiefer ins Dickicht schlagen – und komplexe In¬halte wie in „Totem“ oder „Shell of cognition“ auf sich wirken lassen kann.
„Wie viel Kraft hat ein Bild heutzutage? Welche Wirkung hat ein Gemälde in unserer Zeit, die doch so völlig überladen scheint von virtuellen Eindrücken?“ Diese Fragen stelle er sich im Rahmen seines Kunstschaffens immer wieder, so Weissenberger.
Ich wünsche dem Laureat, dass er heute die Zeit für Gespräche und Austausch findet, um sich diese Frage selbst zu beantworten. Ich wünsche Joachim Weissenberger, dass er im Laufe dieser Ausstellung die Muße findet, uns zu beobachten, wie wir durch seinen Wald wandeln und was die Szenen, mit der er diesen mystischen Ort ausgestattet hat, mit uns machen. Ich bin mir sicher, das Ergebnis wird ihn nicht enttäuschen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, verlaufen Sie sich nicht!
Laudatio von Frau Petra Pickenhan-Maurer, Kunstsalon Aschaffenburg, zur Eröffnung der Ausstellung „Magie & Chaos“ in der Obernburger Kochsmühle am 12. Januar 2015.
Joachim Weissenberger, 1965 geboren, studierte an der Hochschule für Kunst und Medien in Hannover. Weitere Studienzeiten in Berlin, Mailand und New York schlossen sich an.
Beruflich als Abteilungsleiter und Director Industrial Sales in der grafischen Industrie tätig, begann er 2008 erneut mit gestalterischer Tätigkeit. Es entstanden Acryl- und Ölbilder, sowie Zeichnungen und Skizzen.
Joachim Weissenberger nimmt regelmäßig an Einzel- und Gruppenausstellungen teil, seine Arbeiten sind im Großraum Frankfurt, in Berlin, Köln, Würzburg und in Bergen, Norwegen, zu sehen. 2010 wurde er mit dem Preis der Berliner Galerie Diana Achzig ausgezeichnet.
Joachim Weissenberger lebt mit seiner Familie in Obernburg am Main. In seinen Werken spiegelt sich besonders die Auseinandersetzung mit expressionistischen und surrealistischen Elementen wider. Dabei wird in unterschiedlichen kunsthistorischen „Sprachen“ und Mitteln gearbeitet: Farbfelder werden konturiert (wie bei Gauguin), pointilistischer Duktus und Pinselstrich in nervöser und pastoser Manier, van Gogh assoziierend.
In der Farbgebung und im Farbauftrag wird spürbar, wie Spontanität und Energie auf die Leinwand übertragen werden. Der Künstler ergibt sich seinem Malen, überlässt dem Bild eine eigene Entwicklung und freut sich an der Lebendigkeit, die es dadurch erhält.
Man fühlt in den Bildern die Sicherheit und Routine der verinnerlichten Skizzen und Zeichnungen, die der Künstler seit früher Jugend eingeübt hat. Aus diesem Fundus lässt sich mit Fantasie und Spaß an der eigenen Kreativität unendlich schöpfen. Joachim Weissenberger hat mit einer leeren Leinwand keinen „horror vacui“, er verbindet Farben, Formen und Linien zu „Magie und Chaos“.
Seiner Produktivität, Farb- und Formenreichtum sind keine Grenzen gesetzt, auch inhaltlich ist alles möglich: Landschaften, Stillleben, Porträts, Bühnenbilder. Die Formate unterstreichen seine Variationsbreite.
2014 entstanden fast fünf Meter breite und über zwei Meter hohe Bühnenbilder für eine Aufführung der Oper „Carmen“ in Obernburg. Die Bilder wurden auf Wellpappe in Öl gemalt und konzentrieren sich auf Wesentliches, auch in der Farbigkeit wird dies so artikuliert. In der Ausstellung in der Kochsmühle werden die Kulissen von ihrer Funktion als „Hintergrund“ des Geschehens befreit und entfalten eine neue Präsenz. Der Betrachter hat nun die Möglichkeit, selbst in das Drama einzusteigen und sich auf ein eigenes Abenteuer einzulassen. Magisches Ambiente in brillanten Farben.
Menschliche Fragmente schweben in „Totem“. Augen, Köpfe, Gesichter, Hände, Körperteile tanzen mit Blättern, während eine Neonsonne die Waldlichtung am See kalt erhellt. Magie und Chaos fangen den Betrachter und stellen Fragen. Im Traumwald wächst Efeu als lilagrüne Sterne. Magisch die Atmosphäre. Ein Baum steht im Wasser, in der Krone ein Gesicht mit Brille und eingeritzten Zeichen. Ein Wesen in Auflösung blickt den Betrachter an und bewegt sich auf liegende Köpfe zu.
„Das Ende der Idylle“: Assoziationen zu atomaren Katastrophen und Giftwolken. Blumen mit türkis, orange und purpurfarbenen Kelchen, beackerte Felder bis zum Horizont. Drall und grün vereinzelte Bäume. Die leere Scheune wirft einen langen Schatten. Parallel laufende Bahnen suggerieren Wege. Ein freundlicher Himmel ist es nicht. Schwere Kugeln und purpurlila Körper schweben über der Szene.
Im Ölbild „Ausgeliefert“ konfrontiert Joachim Weissenberger den Betrachter mit gruseliger Vorstellung. Auf einer Parkbank liegt ein Mensch mit verbundenem Kopf. Angelehnt sind abgetrennte Unterarme. Rote, kahle Bäume und ein leerstehendes Haus bieten wenig Hilfe an für die Person, nach der Hände zu greifen suchen.
Eine besondere Stärke zeigt sich auch im graphischen Schaffen: Landschaftszeichnungen, notiert während eines Urlaubs in Schweden, zeigen in ihrem lockeren Duktus ein sicheres Selbstverständnis. Auf Bali entstanden Zeichnungen, deren unverkrampfte Leichtigkeit dem Eindruck des Fremden, ein Bewundern der architektonischen Schwerelosigkeit der Bambushäuser, umgeben von Pflanzenreichtum, entspricht. Auch Graphit- und Kohlearbeiten, die die Heimat beschreiben, „Bachlauf am Kreuzweg“, „Später Winternachmittag II“ zeugen von einer fundierten Basis.
Aus diesen Quellen der Inspiration speist sich die Umsetzung in farbliche und großformatige „Bühnen“ und Bilder, die den Betrachter verlocken, „Im Königswald“ zu verweilen. Entführt in Traumlandschaften, vergisst man Raum und Zeit und findet sich in einer merkwürdigen Realität wieder, in der uns der Künstler selbst fixiert: „Selbstporträt sitzend“ und „Selbstporträt müde“. Souverän und ruhig blickt er, vielleicht auch (selbst)kritisch, magische Kräfte erfassen uns.
Die Kunstwissenschaftlerin Dr. Ann-Katrin Günzel anlässlich der Einzelausstellung im Kunstraum Miltenberg vom 10. bis 30. Oktober 2013:
Der Maler und Grafiker Joachim Weissenberger, geboren 1965 in Schweinfurt, lebt und arbeitet in Obernburg.
Als passionierter Comicleser hat er schon als Jugendlicher begonnen, eigene Comic-zeichnungen anzufertigen, studierte zunächst 1984-86 an der Fachoberschule für Gestaltung in Würzburg, anschließend von 1988 bis 1993 an der Hochschule für Kunst und Medien in Hannover. Seit 2008 widmet er sich regelmäßig seiner künstlerischen Tätigkeit als Maler.
Seine zumeist hochformatigen Öl- oder Acrybilder auf Leinwand werden von einer expressiven Farbigkeit und einem bemerkenswerten Formenreichtum dominiert, welche an surreale Stillebenszenerien erinnern.
Der bühnenhafte Aufbau der Arbeiten läßt Figuren und Gegenstände in den Vordergrund treten, ohne dass sie eine klar definierte Position erhalten. Sie schweben vielmehr wie phantastische, traumhaf¬te Gebilde im Raum und formieren denselben durch ihre Präsenz und ihre Interaktion untereinander. Ihre rein gestische Entstehung zeigt sich in den organisch gewachsenen Formen, die zwar assoziativ an etwas erinnern, sich aber in den meisten Bildern doch vage und unbestimmbar einer Festlegung entziehen. Ganz so wie die irrational, gefühlsbetonten Elemente der Surrealisten treten sie als visionäre und zum Teil auch scheinbar widersprüchliche Kräfte auf, die in ihrem Zusammenspiel zwar kompositorisch und formal sinnvoll erscheinen, inhaltlich aber rätselhaft bleiben. Zufall und Unbewusstsein im Schaffensprozess sind dabei bei Weissenberger ebenso wiederkehrende Komponenten der surrealistischen Malerei, wie das Auftreten bruchstückhafter Realitätsfragmente. Er selbst beschreibt die Konfrontation mit der zunächst leeren Leinwand als eine Projektionsfläche oder -raum, aus dem organische Formen emporsteigen oder zu Beginn noch nicht sichtbar unter der Ober¬fläche lauern und abwarten, entdeckt zu werden.